Sie sind hier: Startseite » Ueber uns » Presse

Ohne Schlips lief damals absolut nichts

ABSCHLUSSBÄLLE Zehnte Klassen feiern festlich und
ABSCHLUSSBÄLLE Zehnte Klassen feiern festlich und Darauf ein Gläschen: Einen guten Grund zum Anstoßen hatten auch die Abschluss-Schüler der Realschule Alexanderstraße, die bei Wöbken feierten. BILD: ROLAND FURTWÄNGLER

NWZ 03.12.2016
Ohne Schlips lief damals absolut nichts

Oldenburg-Film setzt Tanzlokalen ein Denkmal


Eine Liebeserklärung an die Stadt, eine Reminiszenz an die Feiern in den Tanzlokalen in den 50er- und 60er-Jahren, vor allem aber ein liebevoll gestaltetes Zeitdokument: Mit donnerndem Applaus quittierte das Publikum im Gesellschaftshaus Wöbken die Uraufführung von „Ohne Schlips geht gar nichts“. Norbert Pollak, Gerold Kehmeier und Wolfgang Meyer präsentierten im voll besetzten Saal ein Filmprojekt, in das sie eineinhalb Jahre lang Tausende Stunden Arbeit gesteckt hatten.

Zu Wort kommen in erster Linie Zeitzeugen, die sich in teils rührenden Interviews an die 50er-, 60er- und 70er-Jahre erinnern, in denen sich die Nachkriegsjugend Freiräume suchte – und diese auch fand. Kaffeehaus zum Bürgerbusch, kurz „BB“, Astoria, Ofenerdieker Krug, Feldschlößchen, Wöbken, Krückeberg, Reckemeier – die Liste der Tanzlokale ist lang, in die die Heranwachsenden strömten. Zu Wort kommt beispielsweise Else Wehen, geb. Krückeberg, die mit ihren 101 Lebensjahren noch lebhafte Erinnerungen an eine Zeit hat, als Livebands bei ihren Auftritten die Säle füllten und die Besucherinnen und Besucher auf die Tanzfläche lockten. So manche Ehe bahnte sich in den Tanzetablissements an, enger Körperkontakt war beim Tanzen angesagt. Im BB soll es, so wird überliefert, auch neben der Tanzfläche heiß hergegangen sein. Nicht umsonst hieß die Lokalität im Volksmund „Café Hemd hoch“ und im gegenüberliegenden Kleinen Bürgerbusch sollen sich Männlein und Weiblein körperlich noch weiter näher gekommen sein.

Der Besuch einer Tanzschule war damals Pflicht, erinnern sich die Jugendlichen von damals. Die ersten Schritte auf dem glatten Tanzparkett brachte ihnen Heidi Beuss, Chefin der gleichnamigen Tanzschule, bei.

Auch Lore und Claus Lachmann kommen in dem mit vielen Livemitschnitten der Tanzkapellen unterlegten Film zu Wort. Sie erinnern sich zu gern an das Schwarzlicht, das die weißen Hemden der Männer aber auch die hellen BHs der Damen zum Leuchten brachte. Die Buslinie 14 brachte die Jugend zum Ofenerdieker Krug. Zu den Veranstaltungen im kürzlich abgerissenen Grünen Jäger an der Edewechter Landstraße wurden bis zu 1000 Tanzbänder verkauft. Es spielte die Jade Combo von Rico Fischmann, die auch bei Krückeberg an der Ammerländer Heerstraße auftrat. Vor dem Astoria (dem späteren Renaissance) bildeten sich am Nachmittag bis zu 100 Meter lange Schlangen von Wartenden, die Einlass begehrten. Die Veranstaltungen begannen so gegen 18 Uhr, die jungen Frauen mussten oftmals um 22 Uhr wieder zu Hause sein. Auf der Bühne standen Bands wie die Convairs, Eskimos, Stingrays, Calvados oder Mel Jersey (alias Cliff Kenneth). Für Furore sorgten die Four Kings, die mit ihrem Sänger Kurt Stadel aufgrund ihrer Klasse weit über die Stadtgrenzen hinweg bekannt wurden.

Der Film gewährt auch Einblicke in die Säle der Gastronomien, die es in dieser Form längst nicht mehr gibt. Ein wenig erinnert das Gesellschaftshaus Wöbken an der Hundsmühler Straße an diese Zeit, dessen Seniorchef Hans-Hermann Wöbken an mehreren Stellen im Film zu Wort kommt.

Ohne Schlips ging damals manchmal gar nichts – und so konnte man sich bei Krückeberg an der Garderobe für den Notfall eine Krawatte leihen, ohne gab es nämlich keinen Einlass. Das Projekt von Oldenburg-Film wurde vom Bundesverband deutscher Filmautoren gefördert.